Westend Z
Leseprobe
Tag 1
1
„Ich bin auch nur ein Mensch. Ich habe gute und schlechte Tage“, erklärt Thomas und zupft sich den Kragen seines Hemdes zurecht. Es ist heiß, sehr heiß. Entweder das oder er bekommt Fieber.
„In letzter Zeit sind es dann wohl eher nur gute Tage“, antwortet der Journalist mit süffisantem Grinsen. „Sie haben 9 Treffer aus 4 Spielen auf Ihrem Konto und benötigen lediglich 4,2 Ballkontakte pro Tor. Das ist der beste Wert europaweit. Und das, obwohl Sie vor einem Jahr noch in der zweiten Liga gespielt haben.“
Thomas bemüht sich zu lächeln, obwohl ihm jetzt wirklich unangenehm heiß ist, als wäre ein Feuer in ihm entzündet worden und er auf kleiner Flamme gebraten würde. Außerdem brennt die Sonne vom Himmel, prügelt auf seinen Schädel, sodass er die Hitze auf seiner Kopfhaut spürt. Die zu Stoppeln rasierten Haare sind kein Schutz. Hinzu kommen die Menschen, Massen von Menschen, die sich vorbeibewegen, wobei sie ihm ihre neugierigen, weißen Grimassen entgegenstrecken. Irgendetwas stimmt nicht mit ihm. Oder mit denen. Können sie ihn nicht wenigstens einmal in Ruhe lassen?
„Wie kommt diese Leistungsexplosion?“ Der Journalist lässt seinen Kugelschreiber zwischen den Fingern hin und her schwingen wie ein Pendel,
„Ich habe viel trainiert und unser Trainer weiß genau, wie er einen motiviert“, antwortet er, mit einer Hand an seinem Hemdkragen nestelnd. Es fühlt sich an, als sei dort eine Schlinge, die sich langsam zuzieht, ihn erdrosselt.
Der Journalist betrachtet ihn herausfordernd, als halte er diese Erklärung für eine Lüge. Eine verdammte Klugscheißerfresse hat dieser Schmierfink. Thomas bedauert, dass er sich auf ein Interview eingelassen hat. Die Schuld liegt bei seinem Manager, der ihn immer wieder dazu anhält, sich öffentlich zu präsentieren und in jeden Arsch zu kriechen, der auch nur im Entferntesten nach Medien aussieht. Würdelos und ärgerlich ist das alles.
„Sie haben physisch zugelegt in der Sommerpause, Ihre Ernährung umgestellt und sich im neuen Leistungszentrum des DFB beraten lassen. Können Sie kurz darstellen, was man Ihnen empfohlen hat?“
Es ist ein Kribbeln in den Fingerspitzen, das sich rasend schnell ausbreitet, die Arme empor wandert und jeden Muskel zum Zucken bringt. Dieser weiße Wichser will ihn drankriegen. Er giert nach einer Story. Ihm ist es egal, wer den Preis dafür bezahlt. Ihn kümmert es nicht, dass er seit seinem fünften Lebensjahr auf Bolzplätzen geschwitzt hat und ihm manchmal der Rücken weh tut, als ob ein Insekt mit seinen spitzen Greifern die Bandscheiben bearbeitet, Nervenstränge in kleine Stücke schneidet. Er will seine Geschichte, Schlagzeilen, Blutgeld, das ist alles, was ihn interessiert. Thomas spürt, wie er würgen muss.
„Alles in Ordnung mit Ihnen?“ Der Journalist legt den Kopf schief. Seine Finger spielen mit dem Stift. Es ist keine Anteilnahme in seinem Blick. Vielleicht hofft dieser Jorunalist, dass Thomas gleich kotzen muss. Das wäre eine kleine Sensation. Noch ein Bild des Erbrochenen, eines mit Thomas Abega, der sich gerade einen Schleimfaden aus den Mundwinkeln wischt. Das ist es, was dieser Schmierer will.
„Entschuldigen Sie, könnte ich bitte ein Autogramm haben?“ Die Frau steht plötzlich am Tisch, bleckt die Zähne, weiße, spitze Zähne, die aussehen, als hätten sie gerade rohes Fleisch von einem Knochen genagt. Die Nase ist zu lang, die Augen liegen tief. Sie sieht ihn mit stumpfem Blick an. Das Lächeln auf ihrem Gesicht ist höhnisch, der gleiche kalte, verächtliche Ausdruck wie bei den Spannern, die sich daran weiden, wenn er sich auf dem Spielfeld windet. Nackter Hass, der ihre Gesichter verzerrt. Sie wollen Schmerz, Blut, Schreie, das ist es, was sie wollen. Er ist kein Mensch, nicht für sie und gewiss nicht für diese Frau.
Das Zittern hat die Mitte seines Körpers erreicht. Er will etwas sagen, sie wegschicken, damit sie nicht seine Wut zu spüren bekommt, denn dann müsste er sich etwas von Jürgen, seinem Manager, anhören. Mann, bist du dir deiner Position nicht bewusst? Du kannst doch nicht die Kontrolle verlieren! Immer nur Kontrolle, sein ganzes Scheißleben ist Kontrolle.
„Könnten Sie mir ein Autogramm geben?“ Sie schiebt ihm ein Foto hin, auf der eine dicke, grinsende Frau abgebildet ist, in deren Zügen er erst auf den zweiten Blick die Autogrammjägerin selbst erkennt.
„Hehwech!“, kommt es ihm über die Lippen. Seine Zunge! Es ist etwas mit seiner Zunge, sie liegt schwer in seinem Mund, ein träger, schwerer Fleischlappen, der seine Elastizität eingebüßt hat.
Der Kragen drückt weiter, zieht sich zusammen wie eine Garotte. Unmöglich noch Luft zu kriegen. Er steht auf, der Tisch fällt um, aber das ist nicht von Bedeutung.
Er sieht nur ihre Zähne, spitz wie Messer. Sie bleckt die Zähne, ganz klar. Dann faucht sie wie ein Tier. Oder ist das die Bremse des LKWs dort drüben auf der Bockenheimer Anlage? Egal!
Sein Arm fährt nach oben, ein Reflex, eine reine Schutzreaktion, nicht mehr, sie aber schnappt danach, bestimmt tut sie das, er spürt ja den Druck ihrer Zähne und jetzt denkt er nicht mehr, hört nur noch die Schreie und registriert die Gesichter, welche sich in Grimassen verwandelt haben. Sie wollen ihn packen, festhalten, beißen. Es sind Tiere, wilde Tiere, das waren sie schon immer.
Er aber ist stark, stärker als seine Gegner. Den Journalisten wirft er mit einer schnellen Bewegung über den Nachbartisch. Die Frau hat den Rückzug angetreten, aber das hilft ihr gewiss nicht. Er packt sie von hinten, reißt sie herum und beißt zu, bis er Blut schmeckt. Sie schreit, kreischt, zuckt, wehrt sich, hämmert ihm ihren Ellenbogen gegen den Schädel.
Lächerlich! Schon liegt sie vor ihm, eine klaffende Wunde knapp unterhalb des Auges. Zwei Münder zieren nun ihr Gesicht, rote, lebendige, atmende Öffnungen, aus denen das Leben strömt. Thomas drückt den Schädel zur Seite, legt die Kehle frei. Dann stößt er auf sie herab, verbeißt sich, schmeckt Eisen, spürt ihren Puls am Hals, spürt, wie es in ihn strömt, er stärker wird, stärker als jene, die ihn leiden sehen wollen. Keine Kontrolle mehr, nie wieder, denkt er. Der Schmerz ist nun verschwunden, jeder Schmerz, den er jemals in sich getragen hat, existiert nicht mehr. Alles löst sich in diesem Pulsieren auf. Was bleibt, ist rasende Wut, ein Tanz auf dem Messer, ein Toben in seiner Brust, das von seinem Herz ausgeht. Er spürt es in sich brennen, als würde er gleich explodieren.
Er springt auf, die Arme angewinkelt, den Kopf leicht gesenkt, bereit, es mit dem nächsten aufzunehmen, der sich ihm entgegenstellt. Sie kommen, sind schon da. Sie bilden einen Kreis um ihn. Aber die Angst ist nun in ihren Gesichtern. Sie wissen, mit wem sie es zu tun haben, was er ihnen antun kann. Ohne zu zögern, stürzt er sich auf den Journalisten.
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